60 Jahre Élysée-Vertrag: Der Landtag Nordrhein-Westfalen bekennt sich zur deutsch-französischen Freundschaft
Plenarrede Stefan Engstfeld, 25. Januar 2023
Stefan Engstfeld (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wenn ich es noch einmal zu tun hätte, würde ich mit der Kultur beginnen.“ Mit diesen Worten wird der französische Unternehmer Jean Monnet zitiert, der gemeinsam mit Robert Schuman als einer der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft gilt.
Ja, die Kultur und die Wirtschaft – geht das eine ohne das andere? Wohl kaum. Daran, dass die europäische Idee, also die kulturelle und wirtschaftliche enge Verbindung Europas, damit auch zum starken Band zwischen Frankreich und Deutschland werden konnte, hatten diese beiden Männer einen entscheidenden Anteil.
Gekrönt wurde dies mit dem Élysée-Vertrag, den Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle am 22. Januar 1963 feierlich unterzeichneten – der erste Vertrag, der so enge, regelmäßige Regierungskontakte zur Grundlage der weiteren Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen machte; ein Vertrag, der seine enorme Bedeutung insgesamt aus der Symbolkraft des Aktes an sich schöpft und uns heute selbstverständlich Erscheinendes formalisiert.
General de Gaulle hatte wenige Monate zuvor Deutschland besucht und dabei allein in Nordrhein-Westfalen drei große Reden gehalten, die berühmteste in Bonn auf dem Rathausplatz. Mit seinem Aufruf an die deutsche Nation, vor allem an die deutsche Jugend, traf der französische Widerstandskämpfer genau den Ton. Die Deutschen dankten ihm auf allen Plätzen mit tosendem Applaus dafür, dass er die Augenhöhe zwischen den Völkern zur Grundlage der neuen, verbindlichen Freundschaft der ehemaligen Feinde erklärte. Das war eine Zeitenwende in die richtige Richtung.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Die Folgen waren und sind beeindruckend: der deutsch-französische Jugendaustausch, die Hunderte Schul- und Städtepartnerschaften, die allein zwischen Nordrhein-Westfalen und Frankreich gelebt werden, und damit einhergehend auch die vielfältigen freundschaftlichen, familiären, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen, die zwischen beiden Ländern heute intensiv gepflegt werden.
Ja, es stimmt, was vor einigen Tagen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stand: Wir müssen insbesondere das Erlernen der Sprachen im jeweiligen Land stärker vorantreiben; denn durch Sprache erschließt sich das Denken, und daraus folgt logischerweise auch ein besseres gegenseitiges Verstehen und Handeln.
Das könnte auch ein Grund dafür sein, dass es politisch manchmal mit etwas mehr Reibung zwischen den Freunden läuft. Aber die Verträge binden uns so gut zusammen, dass immer wieder zusammenwächst, was zusammengehört, und dass wir bleiben, was wir schon seit nunmehr 60 Jahren sind: ziemlich beste Freunde.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Die Achse Paris–Berlin wurde seit 1991 um Warschau erweitert und könnte, ja müsste als Weimarer Dreieck unserem gemeinsamen Europa auch künftig noch verstärkt weitere Impulse geben.
Auch wenn die Sprachen, wie eben schon angedeutet, nach wie vor ein Hindernis darstellen, so gelten im 60. Jahr des Élysée-Vertrages die Beziehungen insgesamt in einer Weise als stabil und selbstverständlich, wie man es sich über viele Jahrzehnte des vorigen und des vorvorigen Jahrhunderts nicht hätte träumen lassen.
Putins verbrecherischer Krieg fordert einmal mehr verstärkte Gemeinsamkeit auf allen Seiten. Das ist der eigentliche Grund, dieses 60-jährige Jubiläums besonders zu feiern.
Wir kämpfen wieder um den Frieden in Europa, wir kämpfen wieder um unsere Freiheit in Europa, und wir kämpfen um unseren Wohlstand in Europa, der uns heute mehr denn je an unsere Verantwortung für die ganze Welt erinnert; denn wir leben immer noch in einem Europa des Ausgleichs und der sozialen und ökologischen Verantwortung.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Umso wichtiger ist es, dass sich auch der Landtag Nordrhein-Westfalen bei diesem Jubiläum einmal mehr zur deutsch-französischen Freundschaft bekennt. Der Landtag hat mit der Gründung der Parlamentariergruppe NRW-Frankreich am 14. Dezember 2010 auf Initiative unseres langjährigen grünen Vizepräsidenten Oliver Keymis – nach wie vor weist NRW übrigens als einziges Landesparlament bundesweit eine deutsch-französische Freundschaftsgruppe auf – ein deutliches Zeichen gesetzt. Ich darf allen Mitgliedern unter dem Vorsitz der Kollegin Elisabeth Müller-Witt für ihr Engagement danken, das den besonderen Beziehungen Nordrhein-Westfalens zu Frankreich dadurch ebenso Bedeutung zuweist wie die erfolgreiche vierjährige Bevollmächtigung der Ministerpräsidenten Laschet und Wüst zur Pflege der deutsch-französischen Beziehungen der Bundesländer, die unsere Freundschaft zu Frankreich auf vielfältige Weise zum Ausdruck brachte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Gemeinsamkeit, den deutsch-französischen Beziehungen zu dienen, macht uns hier im Landtag Nordrhein-Westfalen nicht nur politisch aus, sondern auch stark für die anstehenden Herausforderungen unseres weiter zu einenden Europas. Es lebe das freie geeinte Europa, es lebe die deutsch-französische Freundschaft! – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD – Vereinzelt Beifall von der FDP)